Die FDP steht - wieder einmal - vor dem Abgrund. Die traurigen "Neunziger Jahre", in deren Verlauf die FDP aus 12 der 16 Landtagen herausfiel und nach 1998 auch nicht mehr in der Bundesregierung vertreten war, gingen um 2000 herum zuende. Sie gelangte zurück in mehrere Landtage und dort auch wieder in Regierungsverantwortung, während ihre Stmmenanteile bei den Wahlen kontinuierlich anwuchsen. Immer häufiger wurden auch zweistellige Wahlergebnisse erzielt. Zweifellos war es Guido Westerwelle, welcher 2001 die Nachfolge des klugen und verantwortungsbewußten, aber nicht sonderlich charismatischen Wolfgang Gerhardt als Parteivorsitzender angetreten hat, der die FPD maßgebend mit zurück in die Regierungsverantwortung vieler Landtage und 2009 auch der Bundesregierung geführt hat. Die von ihm stark geprägte Strategie, die FDP als eigenständige, bürgerlich-liberale Partei, unabhängig von der CDU zu positionieren, ist langfristig - sozusagen mit Blick von 2001 bis hin zu 2009 - erfolgreich gewesen.
Leider hat es die Führungsspitze der FDP weitaus besser verstanden, Opposition als Regierung zu sein. Denn mit der Übernahme der Verantwortung in der Bundesregierung im Herbst 2009 haben Westerwelle und seine Mitstreiter so ziemlich alles falsch gemacht, was falsch zu machen war. Man kann problemlos von einem vollkommenen Versagen sprechen, dessen Ausgangspunkt die ausgehandelten Ministerien für die FDP und die Personalpolitik von Westerwelle darstellen.
Festgestellt werden kann: Guido Westerwelle ist als Aussenminister fehl am Platz. Sein Metier sind nicht die leisen, feinen Töne, welche ein Diplomat beherrschen muss. Als Aussenminister ist er auch nicht für innenpolitische Themen in Deutschland zuständig - und man kann auch als Parteivorsitzender nicht beides haben. Daher ist Westerwelle nun qua Amt für die Partei und ihre Positionierung in Deutschland und der Regierung ein personeller Ausfall - als Wirtschafts- oder Innenminister wäre dies ganz anders gewesen. Cornelia Pieper als seine Staatssekretärin, die nur aufgrund ihrer unbedingter, zwangsläufigen Loyalität zu Westerwelle ihr Amt erhielt, ist ebenfalls keine Stütze. In ihrem eigenen Landesverband diskreditiert und bundespolitisch schwach aufgestellt, ist sie nur deshalb noch "Spitzenpolitikerin", weil ihr Landesverband, dessen Vorsitzende sie trotz desaströser Wahlergebnisse immer noch ist, zu schwach ist, sie zu ersetzen. Ebenfalls eine Fehlbesetzung ist Rainer Brüderle als Wirtschaftsminister. Das ohnehin schon nicht sehr mächtige Wirtschaftsministerium ist mit dem farb- und konzeptlosen Pfälzer kein Pfund, mit dem man wuchern kann. Sein Staatsekretär Ernst Burgbacher bereitet derweil seinen persönlichen Freunden vom deutschen Hotel- und Gaststättenbverband fleißig Wahlgeschenke und führt damit das Wahlversprechen der Partei nach mehr Einfachheit im Steuersystem ad absurdum. Stattdessen verkompliziert die FDP das Steuersystem mit neuen Trennbuchungen in der Umsatzsteuer und wird dafür (zu Recht) vom Mittelstand wieder einmal verachtet. Brüderle hat der Partei ein trojanisches Pferd ins Haus geholt, das im Alleingang in der Lage ist, 5 Prozent Stimmenverluste zu bescheren. Im Prinzip handelt es sich jetzt um ein machtpolitisch kaltgestelltes Ministerium.
Die zweitschlimmste Fehlbesetzung ist der Minister für Entwicklungshilfe: hier jemanden auf den Posten zu hieven, der als Generalsekretär zwar halbwegs bodenständig seine Arbeit tat und in diesem Amt exakt dasjenige Ministerium vehement angegriffen hat und abschaffen wollte, dem er nun als Minister vorsitzt, kann ebenfalls für ein paar Prozent der Stimmenverluste verantwortlich gemacht werden. So blamieren kann man sich nur, wenn man wirklich keinerlei Rückgrat hat. Und das gilt nicht nur für Niebel, sondern auch für die gesamte Verhandlungsriege der FDP, welche sich dieses Ministerium von Merkel hat aufschwatzen lassen. Die schlimmste Fehlbesetzung ist jedoch die Nicht-Verwendung von Hermann-Otto-Solms als Minister - und zwar als Finanzminister. Statt mit Niebel und Brüderle zwei kaltgestellte Minister zu haben, hätte Solms einen guten Minister in einem machtvollen Ministerium abgegeben. Und dafür hätte Westerwelle kämpfen sollen und gewinnen müssen. Ein Hohn, wer hier an Westerwelles Mantra denkt, dass "sich Leistung lohnen muss". Solms hat bereits geleistet, andere Liberale in der jetzigen Regierung nicht.
Wir erinnern uns: die FDP ist mit 14,6 Prozent in den Bundestag eingezogen, dem besten jemals erzielten Ergebnis. Und letztlich hat sie zurzeit nur zwei Minister, denen man einen anständigen Job unterstellen und bescheinigen kann: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Philipp Rösler. Erstere hat ihre Integrität bereits unter Beweis gestellt und es gibt wenig Grund, an ihr zu zweifeln, zweiterer sich zumindest bis jetzt keinen echten Lapsus in der Schlangengrube des Gesundheitswesens geleistet.
Was die FDP nun tun kann? Die Antwort ist einfach, ihre Umsetzung schwerer: aufräumen. Westerwelle sollte als Parteivorsitzender so schnell wie möglich zurücktreten. Nachdem mit Christian Lindner ein glaubwürdiger, junger Generalsekretär die Bundesbühne betreten hat, ist die Neubesetzung des Parteivorsitz ohnehin der nächste, logische Schritt. Westerwelle KANN nicht Vorsitzender bleiben, denn die Ersosion seiner Macht hatte im Moment seiner Ministervereidigung bereits begonnen. Er kann nur wählen, wie er abtritt: selbst, oder von jungen Kräften hinausgetragen werden. Klar ist bereits jetzt: ein zweites Kabinett mit Westerwelle wird es nicht geben. Dazu hat er bis zur Bundestagswahl genug richtig, aber danach in kürzester Zeit viel mehr falsch gemacht. Das werden im die starken, jungen Kräfte hoffentlich auch nicht verzeihen.
Auch die Landesverbände müssen sich ihrer eigenen personellen Altlasten entledigen, ebenso wie der restliche Bundesverband: neben Westerwelle sollten auch Brüderle, Pieper und Niebel Platz für neues Blut machen und fähigere Leute ranlassen. Sodann müsste Niebel umgehend ankündigen, wie er sein Ministerium in den nächsten drei Jahren seiner Aufgaben entledigen will (Übertragung ins Aussenministerium) und er selbst als Minister dann zurücktreten kann - mangels Amt.
Gleichzeitig muss die dann personell von der Regierung entflochtene FDP-Bundespartei den Druck auf die Regierung erhöhen - und zwar stark. Denn zumindest drei liberalen Minister, nämlich Westerwelle, Brüderle und Niebel benötigen diesen Druck zum einen, um gegenüber der CDU standfester auftreten zu können und zum anderen, um selbst den Ernst ihrer Lage zu begreifen. Die FDP-Bundespartei muss quasi in die Opposition zur Bundesregierung und ihren eigenen Ministern gehen. Das ist natürlich ein unerhörter Vorgang, geradezu revolutionär. Aber auch ein bisschen avantgardistisch: denn diese Bundesregierung vertritt keine liberalen Positionen. Und liberale Positionen hat dieses Land bitter und dringend nötig. Daher muss dies die FDP-Bundespartei tun. Denn sonst werden in nächsten Monaten und Jahren genug Regierungsbeteiligungen in den Ländern verloren gehen - wenn nicht sogar schon wieder die 5-Prozent-Hürde drohend am Horizont steht. Die FDP hatte bereits einmal fast alle Landtage verloren - das kann wieder passieren, wenn man arrogant wird.
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