Mittwoch, 5. Oktober 2011

Europa muss den nächsten Schritt tun

Europa steckt in einer Finanzkrise. Es ist viel weniger eine Währungs- als eben eine Finanzkrise. Das Problem, vor dem einige Eurostaaten stehen ist, dass sie ihren Lebenswandel aufgrund immer skeptischerer Finanzmärkte nicht länger auf Pump finanzieren können. Es steckt daher weniger der Euro selbst in der Klemme, als eben über Gebühr verschuldete Euroländer. Im Prinzip ist das keine schlechte Entwicklung, sondern dürfte endlich zu der schon längst nötigen Konsolidierung von Staatsausgaben führen. Es ist eine heilsame, wenngleich schmerzliche Krise.

Übersehen wird teilweise, dass die europäische Idee als Ganzes unter dem aktuellen Geschehen leidet. Die Unfähigkeit - und auch der teilweise Unwillen - von Griechenland, Italien, Spanien und Portugal, wettbewerbsfähige Ökonomien und effiziente Staatsapparate hervorzubringen, zeigt uns deutlich die Grenzen der Solidarität. Eine große Krise reicht, um die Bürger Europas den Gedanken an gegenseitige Hilfe über Bord werfen zu lassen und egoistische Nationalismen hervorzukramen. Dabei ist es gerade das, was den europäischen Gedanken ausmachen muss: im Ernstfall seinen Nachbarn beizustehen - denn niemand braucht Beistand in guten Zeiten.

Natürlich ist es unpopulär, Griechenland oder anderen Ländern mit schlecht geführten Staatshaushalten mit Mitteln des Rettungsschirms unter die Arme zu greifen. Und natürlich müssen wir all diese Länder zwingen, sich zu reformieren. Aber bedenken wir bei diesem Lamentieren ruhig auch, wie sich Deutschland selbst verhalten hat, als wir Anfang der 2000er-Jahr die Neuverschuldungsgrenze von 3% überschritten haben: schäbig und mit fadenscheinigen Argumenten haben wir das drohende Defizitverfahren abgewehrt und dadurch selbst die anderen Länder ermutigt, es uns gleichzutun. Man könnte sagen: wir sind selbst mit an dem schuld, was heute passiert, bzw. ist es die damalige rot-grüne Bundesregierung. Und es war die heutige Bundesregierung, die nicht in der Lage war, die Europäische Zentralbank in ihrer politischen Unabhängigkeit vor den französischen Begehrlichkeiten zu schützen, so dass sie nun aufgrund des teilweisen Glaubwürdigkeitsverlustes eine Währung unter Druck verteidigen muss.

Darum müssen wir heute umso engagierter in die Bresche springen: Deutschland muss eben die Garantien für griechische Staatsanleihen übernehmen - oder Griechenland pleite gehen lassen und aus der Euro-Zone werfen. Beides ist möglich und machbar und beides wird uns nicht umbringen. Jedoch müssen wir eine dieser beiden gleichermaßen unschönen Lösungen wählen. Denn Europa ist zu wichtig, um es Populisten zu überlassen, die von dem aktuellen Fahrwasser des merkelschen Sowohl-als-auch profitieren. Insofern hat der vor wenigen Wochen noch dafür gescholtene FDP-Vorsitzende Rösler mit seiner Resolvenz-Idee zumindest einen Standpunkt bezogen - den reichlich Ökonomen teilen.

Die heutige Europäische Union wurde einmal errichtet, um uns vor den Barbaren vor unseren Toren und den Barbaren in uns selbst zu schützen, um Frieden und Freiheit zu sichern. Nachdem die EG und die EU für Jahrzehnte den Frieden der Nationen Europas gestärkt und gesichert haben, verschwinden diese Gründe zunehmend und wir müssen jetzt eben einen weiteren Schritt tun. Das bedeutet, dass von den Parlamenten der Staaten bestimmte Rechte an das Europäische Parlament gehen müssen. Es bedeutet, dass wir neben Gemeinderäten, Landtagen und dem Bundestag auch eine Europäische Regierung wählen müssen. Es bedeutet, dass Nationen sich nicht länger dem Instrument der Verschuldung des Staatshaushaltes bedienen dürfen, um ihre eigene Unfähigkeit kaschieren zu können. Es bedeutet, das wir die Europäische Zentralbank wieder unabhängig machen müssen. Es bedeutet, das wir Kompetenzen dort ansiedeln, wo sie sinnvoll aufgehoben sind und nicht da, wo wir sie aus nationalistischen Egoismen gerne hätten. Es bedeutet einfach einen weiteren Schritt in der Entwicklung zu machen und zu erkennen, dass das 21. Jahrhundert nach anderen Lösungen verlangt als das 19. und 20. Wir müssen begreifen, das wir mit nationalem Kleinklein in der weltpolitischen Bedeutungslosigkeit versinken werden. Das wäre fatal.

Denn trotz all ihrer vorhandenen Unzulänglichkeiten gibt es keine andere Region in der Welt, die mehr für Klimaschutz, Menschenrechte, demokratische Entwicklung und soziale Wohlfahrt tut, als die Länder Europas und die Europäische Union durch sie. Europa ist aus Sicht der meisten Regionen der Welt nicht mehr und nicht weniger als das Paradies auf Erden. Und wenn irgendwann auf dem Planeten die dringend wünschenswerte Finanztransaktionssteuer eingeführt werden wird, dann kann man sicher sein, dass die EU vorne mit dabei sein wird. Im Vergleich mit den USA, China, Japan, Russland, Indien und dem Rest der Welt ist die Europäische Union eine moralische Supermacht. Im Sinne ihrer 500 Millionen Bürger muss sie ihren Einfluss erweitern und nicht verspielen. Natürlich: in der Bedeutungslosigkeit lebt es sich auch ganz gut. Wenn wir das mehrheitlich wollen, nun gut, sei es drum. Falls nicht, muss Europa den nächsten Schritt tun.

1 Kommentar:

  1. Zwar anders argumentiert, aber in den Schlussfolgerungen überraschend ähnlich zu dem Artikel in der Zeit von letzter Woche: http://www.zeit.de/politik/2011-09/europa-krise-menasse

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