Die globale Krise der staatlichen und privaten Schuldenfinanzierung dauert weiterhin an. Inzwischen geht sie in ihr viertes Jahr und es sieht nicht danach aus, als ob sie in der nächsten Zeit ein Ende finden würde. Im Gegenteil scheint die weltweit zu Recht wachsende Zurückhaltung der hauptsächlich privaten Investoren, Staatsanleihen zu kaufen, nicht zu weichen. Immer noch und trotz aller politischen Maßnahmen ist es für Länder unter Insolvenzverdacht schwer, sich auf dem Kapitalmarkt Geld zu beschaffen. Griechenland, Spanien, Portugal, Irland und allmälich auch Italien stehen unter teils berechtigtem, teils unberechtigtem Generalverdacht, ihre Schulden alsbald nicht mehr begleichen zu können - oder begleichen zu wollen. Kein Wunder also, dass ihnen ihre Staatsanleihen nur noch widerwillig abgekauft werden.
Wichtig ist zu erkennen, dass das keine grundsätzlich schlechte Entwicklung ist. Denn in den letzten Jahrzehnten haben sich die meisten industrialisierten Nationen viel zu sehr über eine stetige Neuverschuldung mitfinanziert. Trotz vielfach boomender Wirtschaften haben viele Staaten ihre wachsenden Staatseinnahmen durch Steuern nicht dazu genutzt, ihre eigenen Schulden zu verringern oder abzubauen und ihre Neuverschuldung zu beseitigen. Sie haben sich auch selten durch Reformen des Steuersystems hervorgetan. Stattdessen wurde von den oft zu konsensorientierten und ausgabewilligen politischen Kräften auf den steten Ausbau von staatlichen Leistungen gesetzt - Deutschland einmal ausgenommen, denn hier wurden mit der Agenda 2010 und Hartz IV zumindest einige Schritte in Richtung einer Konsolidierung der Staatsfinanzen unternommen. Da die Folgen ihrer Ausgabefreudigkeit erst die ihnen nachfolgenden Verantwortlichen treffen würden, machten es sich die politisch Waltenden dabei gerne und oft leicht - und ihre Wähler honorierten das.
Auch die Finanzakteure in Form von Ratingagenturen, Fondgesellschaften, Banken, Versicherungen und Beratungsfirmen haben an dieser Entwicklung ihren Anteil: indem sie über Jahre und Jahrzehnte hinweg alle Anzeichen schlechten staatlichen Wirtschaftens ignorierten, unbekümmert beste Ratings sogar an Griechenland und Italien vergaben, immer weiter deren Staatsanleihen kauften und die wachsenden Anteile der Ausgaben für Zins und Tilgung in den Staatshaushalten kleinredeten, ermöglichten sie es den jeweils handelnden politischen Kräften, stets aufs Neue weitere Abermilliarden von Schulden den bereits bestehenden im Namen ihrer Bürger hinzuzufügen. Jetzt bekommen alle Beteiligten dafür eine hohe Rechnung.
Und daher müssen an der Aufarbeitung dieser Misere auch alle ihren Anteil tragen: die Staaten dürfen sich nicht länger verschulden, um ihre schludrige Haushaltspolitik zu kitten. Die EZB darf nicht länger Staatsanleihen kaufen um ihnen das zu ermöglichen. Und einige der Finanzakteure sind offenbar nicht professional genug gemanagt, um am Markt zu bestehen. Das bedeutet in letzter Konsequenz auch das Verschwinden mancher dieser Akteure vom Markt. Und hierzu müssen wir die Frage nach der "Systemrelevanz" stellen: was ist eigentlich "systemrelevant"?
Die Antwort fällt leichter, als es auf den ersten Blick erscheint: es gibt keine systemrelevanten privatwirtschaftlichen Finanzinstituionen. Kein Akteur ist "too big to fail", das hat Lehman Brothers gezeigt. Denn jede Tätigkeit einer solchen Einrichtung kann von ein anderen Bank oder im Zweifelsfall von einer staatlichen Organisation übernommen werden - und sei es auch nur zum Schein oder vorübergehend. Viel fataler als die unzweifelhaften Schockwellen, welche von einer Insolvenz bspw. der Deutschen Bank, der UBS oder eine der spanischen Sparkassen ausgehen würden, ist, dass die Politik mit der "Systemrelevanz" das Instrument der Drohung aus der Hand gegeben hat. Indem sie privatwirtschaftlichen Organisationen die "Systemrelevanz" zugesprochen hat, ermöglichte sie es diesen gleichzeitig, jedes beliebige Risiko einzugehen und bei Sozialisierung von geschäftlichen Verlusten in dem einen Jahr, hohe private Gewinne in vorherigen Jahren einzufahren. Damit ist ihnen die Möglichkeit eröffnet worden, alle Regeln zu missachten (denn im Zweifelsfall würden sie aufgrund ihrer Systemrelevanz ja doch von staatlicher Seite gerettet werden). Es hat indes nichts mit geschäftlicher Finesse zu tun, wenn man drei Jahre lang hohe Gewinne produziert und im vierten Jahr im Prinzip Pleite gehen muss, weil die Gewinne der vorherigen drei Jahre mit Produkten ermöglicht wurden, die eben genau jene Verluste im vierten Jahr produziert haben. Das ist nicht clever, es ist nur Unfähigkeit.
Und es ist weder politisch noch ökonomisch vernünftig, solche Institute zu retten. Wenn man das freie Spiel der Märkte will, muss dieses Spiel für beide Richtungen gelten: private Gewinne in guten Zeiten und private Verluste in schlechten. Wer als privater Sparer einer schlecht handelnden Bank seine Gelder anvertraut, muss in Zeiten wie diesen mit einem vollständigem Verlust rechnen müssen. Wenn private Verluste sozialisiert werden sollen, muss das auch für die Gewinne gelten. Das bedeutet wiederum, dass die Finanzinstitute von ihren Gewinnen mehr als bisher abgeben müssen. Und das wiederum bedeutet - natürlich - die Einführung der Finanztransaktionssteuer (die nichts weiter als eine Umsatzsteuer für Geldgeschäfte ist). Solange sie dazu nicht bereit sind, darf der Staat nicht zu ihrer Rettung bereit sein.
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